Freitag, 12. Februar 2016

Geflüchtete



Schwierig. Alle, alle haben schon ihren Senf dazu gegeben, aber ich muss jetzt auch noch mal. Nicht, damit das gelesen wird, sondern damit ich damit umgehen kann.
Tag für Tag machen mich diese Kommentare so traurig, dass ich meinen extrem tiefsitzenden Glauben an die Menschheit verliere.

Vor einigen Monaten hatten wir im Zuge des hohen Medientrubels, einen Vater mit seinem Sohn bei uns zuhause. Hady und Abdelfarid. Meine Mutter hatte sie frierend vorm LaGeSo aufgesammelt, um sie zum Abendessen einzuladen. Ich htte mein altes Lego rausgelegt und während meine Mutter und ich kochten, spielte Abdelfarid damit.
Hady sollte bei ihm bleiben, er traute sich nicht alleine im Zimmer zu bleiben. Ich hatte noch kein Wort von Abdelfarid gehört, er flüsterte seinem Vater nur ins Ohr, während Hady es mit gebrochenem Englisch übersetzte.
Ich dachte mir natürlich meinen Teil und meine Mutter auch, doch wir sagten natürlich Nichts.
Wir riefen sie zum Essen. Für den Kleinen hatten wir Pfannkuchen gemacht, für uns Nudeln mit Tomatensoße. Abdelfarid schmeckte es, ließ sich aber sehr bitten, damit er etwas aß. Nach einigen Versuchen ihm etwas zu essen zu geben, sagte er leise: "No".
Hady war das unangenehm, er fragte seinen Sohn auf Farsi, warum er denn nichts aß und Abdelfarid antwortete: "Es ist mir peinlich, von diesen Menschen Essen annehmen zu müssen." Müssen.
Da wurde mir das erste Mal etwas klar. Für uns war das selbstverständlich, ihm etwas zu geben, doch als ich mich in seine Situation versetzte, verstand ich ihn.
Wir genießen es manchmal, wenn es uns nicht gut geht. Wir heulen anderen etwas vor, damit sie sich um uns kümmern und uns lieben. Hier ging es um ein ganz anderes "Schlechtgehen"
Nun begann meine Mutter ganz diskret nach ihrer Geschichte zu fragen. Hady antwortete mit einem traurigem Lächeln auf den Lippen, als wäre es ganz normal.

Sie kamen aus einem Dorf in Afghanistan. Sie gehörten der shiitishen Minderheit an. Sie beschlossen zu flüchten. Sie beschlossen alles aufzugeben. Sie beschlossen, ihr Leben hinter sich zu lassen. Sie wussten, sie würden sonst nicht in Frieden weiterleben können. Sie wussten, sie würden nicht weiterleben können. Sie fuhren mit der gesamten Familie los. Sie mussten illgeal in den Iran. Sie mussten den ersten Schlepper bezahlen. Sie mussten. Sie mussten in einen Laster. Sie flogen auf. Sie flohen. Sie mussten. Sie entkamen. Sie verloren den Rest ihrer Familie. Sie verloren ihre Mütter. Sie verloren ihre kleinen Geschwister. Sie fuhren mit. Sie mussten. Sie wanderten. Sie mussten durch das Elbursgebirge. Sie wurden entdeckt. Sie mussten vor Schüssen wegrennen. Sie mussten Menschen sterben sehen. Sie mussten Kinder sterben sehen. Sie mussten Schmerzen ertragen. Sie mussten. Sie mussten von Steinen getroffen werden. Sie mussten bluten. Sie kamen bis nach Griechenland. Sie mussten ihr letztes Geld ausgeben. Sie mussten auf ein Schlauchbot. Sie waren 30. Sie mussten frieren. Sie mussten dem Tod so nah sein wie nie. Sie mussten. Sie konnten keinen Kontakt mit ihrer Familie haben. Sie mussten sich registrieren lassen. Sie mussten warten. Sie mussten. Sie kamen nach Deutschland. Sie kamen nach Berlin. Sie mussten warten. Sie mussten frieren. Sie mussten. Sie kamen zu uns. Sie mussten. Sie wollten? Sie mussten.

Ich konnte nicht mehr. Ich musste raus. Wie unglaublich peinlich, dass sie mir auf diese Art und Weise ihre Geschichte offenbaren und ich der bin, der der sie nicht ertragen kann. Ich habe oft gegen das Wort "First World Problems" gekämpft.
Probleme sind nicht relativ, sie sind nicht erklärbar und bewertbar. Wie sehr kann man sich irren. Das Einzige was ich in diesem Momemt in meinem Zimmer verspürte, war Scham. Scham für jede einzelne Träne, die ich je vergossen habe, für jeden Augenblick in dem ich mein Leben verflucht habe. Ich blickte in meinem Zimmer herum. Abdelfarid hatte das gesamte Lego durchsucht und alle Waffen herauusgenommen, sie fein säuberlich sortiert und kleinen Männchen angelegt.

Ein Junge von 7 Jahren musste bereits miterleben, seine kleine Schwester zu verlieren, seine Mutter zu verlieren, miterleben, wie auf ihn geschossen wurde, musste mit dem Tod kämpfen und ich wundere mich, dass er nichts essen will.

Ich bin fast 11 Jahre älter als er und kann noch nichtmal den Gedanken daran ertragen.
Ein so kleiner Mensch wird mit so einem Leben konfrontiert. Das hat längst nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun. Es kann keinen Gott geben, das kann kein Gott einem Kind zumuten.

Wir trafen sie noch einige Male wieder. Alles schien darauf hinzuweisen, dass sie nicht bleiben könnten. Ihre Minderheit wird in Afghanistan nicht mit dem Tod verfolgt. Meine Mutter setzte alle Hebel in Bewegung, doch sie wollten nicht bleiben. Sie hatten Freunde in Schweden und da wollten sie auch hin. Ich habe seitdem nichts mehr von Ihnen gehört. Abdelfarids Mutter und ihr ein Jahr altes Baby ist illegal im Iran. Wenn sie erwischt werden, werden sie nicht abgeschoben, sie wird erschossen.

Immer öfter hörte man nun von Pegida, von Angriffen auf Flüchtlingsheimen, Rostock Lichtenhagen in extrem.
Die Interviews waren erschreckend. Gar nicht nötig, darüber zu berichten. Jeder kennt es. Jeder regt sich darüber auf, der Eine mehr, der Andere weniger. Meine Freunde engagierten sich, in Heimen auf Gegendemos, mit Plakaten, mit T-shirts...
Ich freute mich, doch langsam verschwand das. Langsam verschwanden die Refugees welcome Aufschriften. Langsam redete man nicht mehr darüber. Ein neues Jahr brach an. Langsam.

"Wie soll man den mit solchen Massen Integration betreiben?""Ja es ist klar, alle kann man nicht aufnehmen.""Naja""Wieso muss Deutschland eigentlich alles machen?""Irgendwann ist auch Schluss""Die kommen ja aus einer völlig anderen Kultur""Das wird auf jeden Fall eine riesige Aufgabe""Es regt mich auf, dass es keine Disskussion gibt"""Naja es ist halt Fakt, dass das in Köln Flüchtlinge waren"Naja""Man darf ja nichts mehr sagen!""Du musst das auch mal pragmatisch sehen""Naja""Ich meine das Frauenbild ist ja schon anders da.""Egal lass über was anderes reden"
"Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naja""Naj
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Shitstorm. Shitsorm auf Seehofer, der Politik mit dem Leben von Menschen macht. Shitstorm auf Petry. Shitstorm auf Lutz Bachmann. Aber naja. Najanaja. Eigentlich...

Wir wollen unsere Frauen schützen. UNSERE Frauen. Die haben ein ganz anderes Frauenbild als wir. Wir grabbeln nicht. Nein heißt nicht ja bei uns MännernZWINKERSMILEY. Riesentitten in der Werbung... Naja.

Ich gebe zu, ich habe keine Lösung, ich kann die Menschen nicht ändern. Ich kann auch meine guten Freunde nicht ändern. Ich kann nicht alle in meiner Wohnung aufnehmen. Ich gebe zu, ich kann man Leben nicht abgeben. Ich gebe zu, ich kann nicht ändern, dass man Menschen ihren Wunsch nach einem Leben absprechen möchte. Wirtschaftsflüchtlinge. Was ist das für ein Wort? Würdet ihr nicht versuchen, das beste Leben zu führen? Ich gebe zu, ich kann es nicht ändern. Aber ich gebe zu: Eines kann ich ändern. Ich kann diesen Text hier schreiben und einen Zweiten und einen Dritten. Und ich kann mich ändern und ich kann hoffen. Hoffen kann ich. Ich kann hoffen, dass alles wieder gut wird. Trotzdem. Trotzallem. Trotzalldem kann ich hoffen. Und vorallem gebe ich zu, ich kann eines: Ich kann nicht alles ändern, aber ich kann es versuchen. Das reicht mir.


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